Immer wenn wir über FASD reden, gibt es ein Thema im Hintergrund. FASD-Mütter: Alle FASD-Betroffenen haben eine Mutter. Ebenso bekommen Frauen, die selbst von FASD betroffenen sind Kinder.
Meine Interviewpartnerin in dieser Episode kümmert sich um beide Gruppen.
Kathleen Kunath, arbeitet beim Sonnenhof Berlin. Sie betreut unter anderem Wohngruppen mit erwachsenen FASD-Betroffenen.
FASD ist keine Schuldfrage.
Darum geht es überhaupt nicht, wir müssen den Fokus auf den Kindern haben. Was brauchen die Kinder jetzt und wie kann den Kindern jetzt geholfen werden? (…) Und damit halt auch den Müttern zu helfen, über diese Schwelle zu gehen und den Müttern zu sagen: es will überhaupt niemand irgendeine Zuschreibung machen oder in irgendeiner Form urteilen, weil das jeden treffen kann.
Kathleen Kunath
Die Haltung ist eine Einladung.
Ich finde es immer ganz toll, wenn die Mütter sozusagen mitwirken dass Menschen mit FASD die Hilfe bekommen, die sie brauchen.
Kathleen Kunath
Der Hilfebedarf der Mütter ist gar nicht zu unterschätzen. Verständnis zeigen und eine forschende Haltung einzunehmen, z.b. bezüglich der eigenen Herkunft, kann eine Brücke bauen. Aussöhnen und annehmen und nicht ausklammern, ist schon der erste Schritt zur Heilung.
Frühe Diagnose und Aussöhnung
Eine frühe Diagnose erleichtert es den Müttern die Situation anzunehmen und gegebenenfalls eine Fremdunterbringung zuzustimmen. Es hilft, ein Narrativ (Geschichte für das Umfeld) gemeinsam zu entwickeln. Als Antwort auf die Frage: Ist es gut und richtig und wichtig das Kind fremd unterzubringen? Es ist wichtig, dem Kind zu erlauben, wegzugehen und weg zu sein. Wenn die Mütter das nicht erlauben, kommen die Kinder auch dort nicht an.
Die Aussöhnung mit der Mutter hilft auch den FASD Betroffenen, die eigenen mütterlichen Anteile in sich anzunehmen.
Bei einer späten Diagnose hadern die Mütter vielmehr.
Positive Momente ankern
Auch wenn es sonst viel Unschönes im Leben gegeben hat, gibt es immer zwei positive Momente:
Es ist gut, dass dich deine Eltern gezeugt haben und es ist gut, dass dich deine Mutter auf die Welt gebracht hat. Und es ist gut dass du da bist.
Kathleen Kunath
Diese Momente zu betonen hilft, sich mit der Mutter und den eigenen Anteilen auszusöhnen.
Mütter die selbst FASD haben
Es ist erstaunlich wie wachsam diese Mütter sind, wie sie genauestens darauf achten, was Ihr Kind braucht, so dass es in einem besseren Umfeld aufwächst als die Mutter selbst. Es wird akribisch der Frage nachgegangen: Habe ich selbst während der bei Schwangerschaft Alkohol getrunken und mein Kind gefährdet? Auch achten FASD-betroffene Frauen besonders auf Verhütung, um dem eigenen Kind zu ersparen, was man selbst erlebt haben.
Das kann auch immer wieder in Überforderung kippen. „Wollen aber nicht können“ ist typisch für FASD.
Väter
Die Väter kommen oft nicht mehr vor.
Mich würde noch eine Studie über die Auswirkungen des Alkohols bei den Vätern interessieren. Frau Kunath berichtet u.a. auch, dass das Erscheinungsbild des Kindes eines Alkohol trinkenden Vaters dem eines FAS-Kindes gleichen kann. Bei FAS Deutschland habe ich auch Hinweise gefunden, das durch die Väter Intelligenzminderung und Hyperaktivität entstehen können.
Kennen Sie wissenschaftliche Studien, wo man das nachlesen kann?
Hallo Andrea,
ja, das ist ein spannendes Thema. Ich habe da bisher keine weiteren Informationen. Ist auf jeden Fall notiert.
In der Literatur gibt es Übereinstimmung , dass ca 80% der Kinder mit FASD nicht bei Ihren leiblichen Müttern leben. Sie leben in PFlegefamilien, in Adoptivfamilien und in Formen der Heimerziehung.
Ca 1/4 unsererer Pfleglegekinder sind betroffen.
Das hat eine Untersuchung aus Münster vom Dr.Feldmann kürzlich nochmal bestätigt.
Die meisten Mütter mit FASD-Kindern bekommen nicht nur 1 Kind.
Unser "Spitzenwert" lag bei 10 Kindern, 3-5 sind Durchschnitt.
Manche Mütter haben selber eine FASD-Schädigung, in der Regel ohne Diagnose.
Die meisten Mütter mit FASD-Kindern haben ein Suchtproblem,
egal ob sie selber FASD-Betroffene sind oder nicht.
Die "Ausrutscher" gibt es auch, sind aber eher die Ausnahme.
Aus hiesiger Sicht wäre es dringend erforderlich, sich dieses Themas anzunehmen.
Die üblichen Aufklärungskampagnen sind super, erreichen aber das Hauptklientel nicht.
Hinter dieser nüchternen Beschreibung stecken schwere menschliche Schicksale bei den Müttern,
denen immer wieder die Kinder weggenommen werden wg. massiver KWG.
Ebenso bei den Kindern und den aufnehmenden Familien.
An die zuständigen KollegInnen sollte ruhig auch gedacht werden.
Hinter dieser nüchternen Beschreibung stecken auch massive Folgekosten.
Schon aus diesem Grund sollte sich die JH und die Suchthilfe dieses Problems annehmen.